Denkort Corona

TRAGE – So könnte man die Konzeptidee für den Denkort Corona von Peter Sandhaus auf den Punkt bringen.  Ebenso präzise wie vieldeutig. Eine Kranken-Trage, eine detailgetreue Simulation, auf den ersten Blick erkennbar. Genauso unverkennbar: Die ist nicht echt. Viel zu groß, viel zu schwer, viel zu schön! Ja, ohne Zweifel liegt der künstlerischen Gestaltung eine Verwandlung, eine „Verklärung“ zu Grunde. Ausgangspunkt ist ein vergleichsweise unkompliziertes medizinisches Gerät aus einfachen Stoffen. Wer eine Krankentrage sieht, denkt an den medizinischen Ernstfall, an lebensbedrohliche Situationen, an Martinshorn und Blaulicht, an „Erste Hilfe“ und Rettung – wenn’s gut geht. Das alles wird „aufgewertet“, veredelt und geadelt durch die Bronze, das klassische Material für Denkmäler auch an diesem „Denkort Corona“.

TRAGE – Das ist aber auch der Imperativ „Trage!“ Man kann an die biblische Formulierung (des Apostels Paulus) denken: „Einer trage des anderen Last!“ (Gal 6,2). Das Bild der Trage erinnert, mahnt  - ohne erhobenen Zeigefinger – daran, dass in der Not Hilfe möglich und nötig ist. Ohne Menschen funktioniert eine Trage nicht, Zupacken und Anpacken gehören notwendig dazu.

Keine TRAGE – Es ist nicht nur das edle Material, das den Anschein einer Trage stört. Zu schwer ist sie schon durch die Bronze, dazu auch noch viel zu groß, etwa sechs Meter lang. Man wird sich erinnern, dass in der Pandemie vieles „zu groß“ und vieles „zu schwer“ war. Das Erleben des einzelnen Menschen, Angst und Schmerz, Einsamkeit und existentielle Nöte war davon ebenso geprägt wie der gesellschaftlich-politische Bereich, von der Überforderung des Gesundheitswesen bis zum permanenten Entscheidungsdruck unter den Vorzeichen von Zweifel und Unsicherheit für die Menschen, die Verantwortung trugen.

Die Wettbewerbsauschreibung hat die Anforderung formuliert, die Gestaltung des Denkortes möge  die unterschiedlichen Erfahrungen während der Pandemie zusammenführen. Das gelingt mit der leicht erkennbaren, aber äußerst vielschichtigen Symbolik der Krankentrage vorzüglich. Es muss betont werden: Dies leistet das Objekt nicht bloß als Zeichen, dass auf etwas Vergangenes verweist und davon erzählt. Es bedeutet nicht nur „Trage/trage“, sondern ist es. Real. Es ermöglicht die Aktualisierung dieser Erfahrungen. Man kann dieses Objekt „belegen“ – wozu im öffentlichen Raum gewiss Überwindung gehört – und spüren und erleben, wie hilflos, ausgesetzt und ausgeliefert sich Menschen gefühlt haben. Hände können die Tragholme umschließen und merken: Viel zu schwer!

Nicht nur TRAGE – Ebenso gut erkennbar ist die Symbolik - und Realität – einer Bank. Vielleicht drängt sich dieser Eindruck sogar zuerst auf, im situativen Kontext der Grünflächen zwischen Kirche, Pfarrheim und Seniorenwohnanlage, mit der einladenden Öffnung des Grundstücks zur Straße hin und der Ausscheidung eines eigenen Bezirkes mit der Einfriedung durch Zaun und Hecke. Kumma, ne Bank! Eine einladende Geste ist dieses Arrangement – aber auch hier wird der Eindruck gestört. So richtig bequem wird man es sich nicht machen können, ohne Lehne und mit der Einwölbung der Sitzfläche. Und der eine oder die andere wird sich fragen: Darf ich überhaupt….? 

Das Zeichen der Bank führt zurück in die Pandemie, zu deren unvergesslichen Kennzeichen Sitzgelegenheiten mit schrillen Markierungsbänder gehörten, die signalisierten: Platznehmen verboten! Abstand halten! Vorsicht Ansteckungsgefahr! Einsamkeit und Isolation waren die Grunderfahrung, die fast alle Menschen in der Covid-Zeit machten. Die Realität der Bank am Denkort Corona ermöglicht das genaue Gegenteil: Gemeinschaft und Kommunikation in reichem Maße - die Bank ist ja übergroß. Nehmen Sie Platz!

 Herbert Fendrich

Zum Künstler

Peter Sandhaus arbeitet als bildender Künstler in Berlin. Neben seiner konkreten Aktions-Malerei befasst er sich vor allem mit Kunst im öffentlichen Raum.

Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und hat eine Vielzahl von großformatigen Arbeiten im öffentlichen Raum realisiert.

Für die Pfarrei St. Josef hat er 2015 - ebenfalls nach einem Wettbewerb der Initiative ars liturgica - das neue Vortragekreuz gestaltet.

www.sandhaus.net

Podcast "Denkwürdig trifft Todesmutig"

Todesmutig. Mut gehört zu einer der sieben christlichen Tugenden neben Glaube, Liebe, Hoffnung, Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Doch wer hat den Mut, dem Tod täglich ins Angesicht zu schauen? Ärzte, Hospizmitarbeiter, Seelsorger, Pathologen oder auch Bestatter sind so todesmutig. Der Tod gehört zum Leben und doch auch wieder nicht. Wir haben den Umgang mit Verstorbenen in unserer Gesellschaft weitgehend an Spezialisten des Todes delegiert.

„Was hat Corona mit uns bewirkt?“ „Haben wir die Pandemie eigentlich schon verarbeitet?“ „Welche Folgen tragen wir noch mit uns?“. Fragen, Themen, Reflektion.

Unter der Überschrift Denkwürdig trifft Todesmutig waren Benni Bauerdick und Mechthild Schroeter-Rupieper am 3. September im Rahmen der Ausstellung zum Kunstwettbewerb von ars Liturgica rund um den Corona Denkort in der Kirche St. Franziskus zu Gast. Im Anschluss haben Sie darüber in diesem Podcast gesprochen.

© Katholische Kirchengemeinde St. Josef. Alle Rechte vorbehalten.